JaboG 36 "W"
Das „Westfalengeschwader“
Jagdbombergeschwader 36 „W“
Geschichte der Heimat des Westfalengeschwaders: „Fliegerhorst Hopsten“
52°20´40´´ Nord / 7°32´30´´ Ost: diese Koordinaten standen fast 70 Jahre in fliegerischen Unterlagen für den „Fliegerhorst Hopsten“, ab 1961 der Heimatstandort des Westfalengeschwaders.
1938 wurde mit dem Bau eines Feld-und Einsatzflugplatzes auf dem Gebiet der Gemeinde Dreierwalde begonnen. Dieser besaß eine Hauptstartbahn Ost-West mit einer Länge von 1800 Metern und 2 kürzere Startbahnen für Jagdstaffeln mit jeweils 1000 Metern in Richtung Nord-Süd und Nordost-Südwest. Nach der Fertigstellung im Jahre 1939 weigerte sich die Bevölkerung von Dreierwalde, dem Fliegerhorst ihren Ortsnamen zu geben. Erst mit der Verlängerung der Hauptstartbahn (3 000 Meter) 1940 auf das Gebiet der Gemeinde Hopsten wurde dem bis dahin als „Rheiner Bauabschnitt 2“ bezeichneten Feldflugplatz der Name „Fliegerhorst Hopsten“ gegeben.
Zunächst hatte dieser Fliegerhorst keine größere Bedeutung. Dies änderte sich jedoch sehr stark ab 1944, als er für die Reichsverteidigung im Westen immer wichtiger wurde. Belegt war der Fliegerhorst bis zum Kriegsende unter anderem mit den Jagdflugzeugen ME 109 / FW 190 / ME 262 (auch als Jagdbomber eingesetzt), den Nachtjagdflugzeugen ME 110 und HE 219 sowie den Düsenaufklärern Arado 234 (später auch als Bomber eingesetzt, z.B. auf die Brücke von Remagen). Geschützt wurde der Fliegerhorst wegen der Bedeutung der Düsenflugzeuge durch rund 500 Flak-Geschütze und zahlreiche Jagdstaffeln im Umkreis, z.B. Rheine-Bentlage, Lingen, Nordhorn, Fürstenau.
Das Ende ist bekannt. In den letzten Kriegstagen sprengten deutsche Einheiten die Einrichtungen und machten den Fliegerhorst unbrauchbar. Die kampflose Übergabe an die Briten erfolgte am 6. April 1945. Diese entschlossen sich jedoch sehr bald, das zu diesem Zeitpunkt für die Fliegerei völlig unbrauchbare Gelände der Bevölkerung zur landwirtschaftlichen Nutzung zu überlassen.
Der Neubeginn nach dem 2. Weltkrieg
Rund 10 Jahre nach Ende des 2. Weltkrieges erhielt die junge Bundesrepublik Deutschland unter der Kontrolle der Westmächte eine neue Armee. Im Jahr 1956, nur wenige Monate nach Gründung der Bundeswehr, begann die Teilstreitkraft Luftwaffe neue Geschwader und somit auch Flugplätze wieder in Dienst zu stellen. Es sollte jedoch noch 3 Jahre dauern, bis sich das BMVg im Jahr 1959 entschloss, auf dem Areal des ehemaligen „Fliegerhorst Hopsten“ den jüngsten Spross der Luftwaffe auf 306 Hektar Fläche zu etablieren.
Aus NATO-Mitteln wurde ein komplett neuer Militärflugplatz nach den damals modernsten NATO-Standards gebaut. Die Start- und Landebahn verlief in Nord-Süd-Richtung über eine Länge von 3 000 Metern und einer Breite von 30 Metern, genau zwischen den Gemeinden Dreierwalde und Hopsten im Nordbereich sowie auf dem Gebiet der Gemeinde Hörstel im Südbereich.
Stellplätze, flugplatztechnische Einrichtungen und Zufahrtswege sowie einen, in der ca. 8 Kilometer entfernt gelegenen Stadt Rheine errichteten, Unterkunftsbereich mit Administrationsgebäuden vervollständigten alle von der NATO vorgegebenen Standards. Für den neuen NATO-Flugplatz wurde der Name „Fliegerhorst Hopsten“ beibehalten.
Das „Westfalengeschwader“ wird geboren
Die Geschichte des Jagdbombergeschwaders 36 kann in 3 Abschnitte unterteilt werden:
- die Ära F-84F Thunderstreak 1961 - 1965
- die Ära F-104G Starfighter 1965 - 1975
- die Ära F-4F Phantom 1975 - 2005, mit 2 Namensänderungen:
ab 01. Januar 1991 „Jagdgeschwader 72 Westfalen“ und
ab 31. Januar 2002 „Fluglehrzentrum F-4F“.
Im April 1961 wurde beim JaboG 31 in Nörvenich ein 40 Mann starkes Vorauskommando mit Erstmaterial gebildet und in Richtung Rheine in Marsch gesetzt. Diese „Männer der ersten Stunde“ des neu aufzustellenden Jagdbombergeschwaders hatten bis zur Indienststellung am 12. Dezember 1961 unter dem ersten Kommodore, Major Wilhelm Meyn, Pionierarbeit mit viel Improvisationsvermögen zu leisten: „geht nicht – gibt´s nicht“ war das tägliche Brot. Da die Jagdbomberverbände der Luftwaffe mit Zahlen im 30-er Bereich benannt wurden und die Zahlen 31 – 35 bereits vergeben waren, erhielt der neue Verband folgerichtig die Nummer 36.
Die Ära „Republic F-84F Thunderstreak“
Bereits zum 1. März 1961 war auf dem Fliegerhorst Nörvenich die 1.Fliegende Staffel des neuen Verbandes aufgestellt worden. Von April bis zum 31.August 1961 verlegte das „Westfalen-Geschwader“ (zu der Zeit nur inoffiziell so genannt) komplett nach Decimomannu / Sardinien, um eine intensive Pilotenausbildung durchzuführen.
Schon einen Tag nach Rückkehr aus Sardinien, am 1. September 1961, wurde die 1. Fliegende Staffel der NATO unterstellt mit dem Einsatzauftrag „Luftangriffe zur Unterstützung des Heeres – Luftnahunterstützung (CAS)“. Einer der ersten Höhepunkte des jüngsten Geschwaders der Luftwaffe war der 12. Dezember 1961, als der damalige Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Josef Kammhuber, das neue Jagdbombergeschwader 36 mit einem feierlichen Appell auf dem Fliegerhorst Hopsten offiziell in Dienst stellte. Wenige Wochen danach, am 19. Januar 1962, wurde per Aufstellungsbefehl des BMVg die 2. Fliegende Staffel gebildet. Diese 2./JaboG 36 wies von Anfang an eine Besonderheit auf: Primär wurde sie mit der Schulung der in den USA ausgebildeten F-84F Piloten auf mitteleuropäische Witterungsverhältnisse sowie mit der anfänglichen Waffenausbildung innerhalb der Luftwaffe beauftragt. Für diesen Auftrag wurden der 2. Staffel Mitte 1962 sechs Lockheed T-33A sowie zwei Piaggio P-149D für Trainingszwecke zugeteilt.
Ein Höhepunkt folgte nun dem anderen. Nachdem im Verlauf des Jahres 1962 auch der Großteil der Gebäude im Unterkunftsbereich Rheine bezugsfertig geworden war, präsentierte sich das Geschwader am 16. Juni 1962 erstmals mit einem „Tag der Offenen Tür“ der Bevölkerung. Die unglaubliche Zahl von 150 000 Besuchern ließen sich dieses Ereignis nicht entgehen.
Am 23. Juli 1962 nahm der erste Kommandeur der Technischen Gruppe, Major Lange, eine flugtechnische Neuerung in Betrieb: die Notfanganlage für den Hakenfang.
Mit Wirkung vom 13. März 1963 wurde der Entwurf des Geschwader-Wappens durch den Führungsstab der Luftwaffe genehmigt: Es zeigt das springende Westfalenross auf rotem und blauem Grund, wobei der blaue Grund für den Himmel und der rote Grund für die Erde Westfalens steht. Dieses Wappen zierte fortan die Flugzeuge des Geschwaders und überdauerte unverändert alle Umstrukturierungsmaßnahmen bis zur Auflösung.
Vom 12. bis zum 28. Juni 1963 richtete der Verband erstmals auf deutschem Boden das „Tactical Weapons Meeting“ aus. An dieser Übung für Jagdbomberpiloten aus sechs NATO-Staaten der 2. und 4. ATAF waren mehr als 250 Soldaten beteiligt, wobei 220 Einsätze überprüft wurden. Die begehrte „Broadhurst Trophy“ gewann dabei die Escadre de Chasse 3 aus St.Dizier mit ihren F-100 Jagdbombern. Bemerkenswert dabei ist die Tatsache, dass es dem Geschwader überhaupt gelang, zu einem so frühen Zeitpunkt nach der Aufstellung eine derartige anspruchsvolle Übung zu organisieren, gleichzeitig ein Kontingent zum Übungsschießen in Decimomannu zu unterhalten und daneben den lokalen Flugbetrieb mit einem hohen Klarstand durchzuführen.
Erschwerend kam hinzu, dass unmittelbar nach dem TAM die erste Überprüfung des jungen JaboG 36 durch NATO-Kontrolleure stattfand. Diese so genannte „Tactical Evaluation (TacEval)“ wurde mit einem guten „B-Rating“ bestanden. Bereits am 22. Juni 1964 deutete sich dann die Zeitenwende an: Beim „Tag der Offenen Tür“ wurde ein F-104G Starfighter des JaboG 31 Nörvenich vorgestellt. Dieses Flugzeug der neuesten Generation würde bald auch in Hopsten die F-84F Thunderstreak ersetzen.
Immerhin wurden auf diesem Muster in knapp 5 Jahren 50 000 Flugstunden erreicht. 8 Flugzeugführer starben den Fliegertod.
Die Ära „Lockheed F-104G Starfighter
Am 2. Februar 1965 begann das Überschallzeitalter beim JaboG 36: Der damalige Kommodore, Oberstleutnant Lothar Kmitta, landete den ersten „Hopstener Starfighter“ mit dem Kennzeichen DF-101 (nach damaliger Kennung DF = JaboG 36 und die 1 nach dem Bindestrich = 1.Staffel; der vierstellige Zahlencode wurde erst 1968 eingeführt).
Am 25. Oktober 1966 verlieh der damalige Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Johannes Steinhoff, dem Unterkunftsbereich in Rheine den Namen „General-Wever-Kaserne“ nach dem ersten Generalstabschef der Luftwaffe, der 1936 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kam.
Im Jahr 1967, mit der neuen NATO-Doktrin der „Flexible Response“, änderte sich der Auftrag der 1. Fliegenden Staffel in die „Strike“-Rolle (Einsatz nuklearer Waffen). Ab diesem Zeitpunkt gehörte die Besetzung einer „QRA“ mit 2 Maschinen, die mit der nuklearen Bombe beladen waren, zum Alltag. Des Weiteren gehörte nun eine etwa 100 Mann starke Einheit der US Air Force zur Sicherung und eventuellen Freigabe der Sonderwaffen, zum Geschwader. Dieser Auftrag, die „Strike-Rolle“, endete Anfang 1972 mit der erneuten Änderung der NATO-Doktrin. Daraufhin änderte sich auch der Einsatzauftrag der 1. Fliegenden Staffel wieder hin zur Jagdbomberrolle mit ausschließlich konventionellen Mittel.
Sicherlich kein strategisches, aber jeden Angehörigen des Geschwaders mit Stolz erfüllendes Highlight folgte dann am 5. Januar 1969: Die Gründung der verbandseigenen Band „Starfighter 36“. Diese erlangte sehr schnell einen hervorragenden Ruf nicht nur innerhalb der Luftwaffe, sondern in der gesamten Bundeswehr und darüber hinaus auch im zivilen Bereich, so trat sie z.B. auf dem Bundespresseball und an vielen Auswärtsstandorten der Bundeswehr sowie bei Botschaften des Auswärtigen Amtes in verschiedenen Ländern auf.
Aufwändige Instandsetzungsarbeiten an der Start- und Landebahn führten im September 1971 zu einer 3-monatigen Verlegung von 23 Flugzeugen einschließlich des notwendigen fliegenden und technischen Personals sowie umfangreicher Bodengeräte auf dem Luft- und Seewege nach Beja / Portugal. Gerade rechtzeitig zum 10-jährigen Bestehen des Geschwaders sowie des Erreichens der 50 000sten Flugstunde auf der F-104 erfolgte die Rückverlegung nach Hopsten.
Im Jahr 1972 wurden die Verbindungsflugzeuge Pi-149D durch die Do-28D2, den „Bauernadler“ ersetzt, der die nächsten 20 Jahre als leichtes Verbindungsflugzeug eingesetzt wurde. Zu dieser Zeit jedoch zeichnete sich bereits ab, dass aus den verschiedensten Gründen die Ära der „104“ in Hopsten nach 10 Jahren zu Ende gehen würde. Ein Nachfolger stand bereits fest: die „F-4F Phantom“.
In der Starfighter - Ära wurden 100 000 Flugstunden erreicht. 7 Flugzeugführer starben den Fliegertod.
Die Ära „McDonnell-Douglas F-4F Phantom II“
Die Umrüstung auf dieses neue Waffensystem wirkte sich in mancherlei Hinsicht aus:
1. die Personalstärke des Geschwaders stieg von 1 800 Soldaten und zivilen Mitarbeitern 1971 auf nun 2 300 Soldaten und zivile Mitarbeiter an.
2. der Einsatzauftrag beinhaltete nunmehr neben der Rolle „Luftangriff“ auch die der „Luftverteidigung“, zunächst in der Sekundärrolle
3. die bisherigen „single seat pilots“ mussten sich an das jetzige „two-men-concept“ gewöhnen, ein nicht zu unterschätzender Aspekt
4. die Besetzung der QRA in der Rolle Luftverteidigung musste sowohl infrastrukturmäßig als auch personell / ausbildungsmäßig umgesetzt werden
Am 4. Februar 1975 landete die erste F-4F des JaboG 36 mit dem taktischen Kennzeichen 37+97 in Hopsten, geflogen von der Besatzung Oberst Winfried Schwenke (Kommodore) und Major Felix Kroll.
Auch in der General-Wever-Kaserne stand die Zeit nicht still: Im Sommer 1975 eröffnete das Unteroffizierskorps ihr erstes Unteroffizierheim im Beisein des Kommodore, Oberst Winfreid Schwenke, sowie des Bürgermeisters der Stadt Rheine, Herrn Ludger Meier. Die UHG wurde schnell angenommen und wuchs auf über 800 Mitglieder an.
Nachdem im Juli 1976 die Umrüstung abgeschlossen war, wurde das JaboG 36 wiederum der 2. ATAF der NATO unterstellt. Nahezu 200 000 Besucher kamen dann im Juli 1977 zum bereits vierten „Tag der Offenen Tür“. Anlass dafür war das 15jährige Bestehen des Geschwaders am 12. Dezember 1976 sowie das Erreichen der 173 000sten Flugstunde seit dessen Aufstellung.
Eine Auszeichnung aller Angehörigen des Geschwaders für ihre sehr gute Arbeit war die gleichzeitige Verleihung des Bestpreises der 3. Luftwaffendivision und des Flugsicherheitspreises der Bundeswehr im Februar 1979.
Im Jahr 1980 erhielt das Westfalengeschwader einen besonderen Auftrag: Als erster deutscher Verband verlegte das JaboG 36 vom 21. Juli bis 26. September mit dem Ziel der „Tiefstflugausbildung“ auf den kanadischen Flugplatz Goose Bay, Labrador. Mit sechs F-4F und einer Begleitmannschaft von 95 Soldaten leistete das Geschwader Pionierarbeit. Diese erste Verlegung erfolgte im sogenannten „Insel-Hopping“ mit Zwischenlandungen in Lossiemouth (Schottland), Keflavik (Island) und Sondrestroem (Grönland) ins 5 000 km entfernte Goose Bay. Die nachfolgenden jährlichen Verlegungen erfolgten dann unter Nutzung der Tankflugzeuge der US Air Force im Nonstop-Flug in nur 6 Stunden Flugzeit. Nicht unerwähnt bleiben soll ein Flugunfall, der erste Absturz einer F-4 des JaboG 36, am 22. September 1980 in Goose Bay, bei dem die Besatzung ihr Leben verlor.
Die Forderung nach der Standardisierung der Ausbildung auf F-4F führte am 1. Februar 1981 zur Aufstellung der „Zentralen Ausbildungseinrichtung F-4F (ZAE)“, die als separate, dritte Staffel des Geschwaders allerdings erst am 1. Januar 1984 offiziell in Dienst gestellt wurde. Die Aufgabenstellung glich den Aufgaben der ehemaligen WaSLw 50 in Fürstenfeldbruck für die G-91 bzw. der WaSLw 10 in Jever für die F-104G.
Am 20. September 1981 beging das Westfalengeschwader seinen fünften „Tag der Offenen Tür“, zu dem mehr als 100 000 Besucher auf den Fliegerhorst strömten. Leider wurde aus politischen Gründen dem Geschwader jegliche Flugbewegung mit eigenen Flugzeugen untersagt! Trotzdem konnte mit einem Highlight aufgewartet werden: Es fanden Vergleichsrennen zwischen zwei Honda-Motorrädern, einem Porsche 911 Turbo und einer Phantom statt! Und wer hat wohl gewonnen? Die F-4F natürlich!
Zum 1. April 1984 erfolgte eine nochmalige Erweiterung der Aufgaben: Die ATV-Gruppe WS F-4F wurde STAN-mäßig in das JaboG 36 eingegliedert und personell aufgefüllt. Diese wurde disziplinar dem Kommodore JaboG 36, fachlich dem Luftflotten-Kommando A 3 unterstellt. Eine derartige ATV-Gruppe war längst überfällig, existierte eine solche doch bei allen anderen Waffensystemen der Bundeswehr. Zwei der herausragenden Aufgaben waren einmal die Truppenerprobung und Einführung der AGM-65 B (optisch) und D (Infrarot) Maverick in den Jahren 1986 / 1987 sowie die Teilnahme an der Erprobung des AN/APG 65 und der AIM-120 AAMRAM von August 1991 bis November 1992. Diese erfolgte zusammen mit der WTD-61 am Pacific Missile Test Center der US Navy auf dem Stützpunkt Point Mugu in Kalifornien.
Im Mai 1984 wurde dem Geschwader eine besondere Ehre zuteil: Als Zeichen der Verbundenheit zur Heimatregion wurde dem Verband vom BMVG der Traditionsname „Westfalen“ verliehen. Diesen Zusatz führte der Verband nunmehr in der offiziellen Schreibweise „Jagdbombergeschwader 36 „Westfalen“ (kurz JaboG 36 „W“)“. Einige Monate später, am 17. September 1984, übernahm dann auch noch der Kreis Steinfurt die Patenschaft über das Geschwader.
Und dann plötzlich änderte sich mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung alles, nicht nur für das Jagdbombergeschwader 36 „W“!
Bereits im Oktober 1990 entschied die Luftwaffenführung aufgrund der geänderten Lage auch die beiden Jagdbombergeschwader 35 und 36 „W“ in reine Jagdgeschwader umzurüsten und als solche einzusetzen. Da die Flugplätze der ehemaligen NVA ohne Umbaumaßnahmen nicht nutzbar waren, verlegte ab Oktober 1990 ein Kontingent von 4 F-4F plus des erforderlichen Personals zum Fliegerhorst Fassberg, jeweils im Wechsel der beiden Jagdbombergeschwader 35 und 36 „W“, um die Lufthoheit über den 5 neuen Bundesländern sicherzustellen. Aufgrund verschiedener Umstände erwies sich dies als nicht durchführbar und so wurde diese QRA bereits im Dezember 1990 wieder auf den Fliegerhorst Hopsten zurückverlegt. Nach der Rollenänderung erfolgte folgerichtig auch die Umbenennung in „Jagdgeschwader 72 „Westfalen“ (JG 72 „W“)“ zum 1. Januar 1991
Zu diesem Zeitpunkt bereits ging in Rheine das Gerücht über eine anstehende Verlegung des Verbandes nach Laage (Mecklenburg-Vorpommern) um. Es wurde noch dadurch genährt, dass am 5. März 1991 der damalige Kommodore, Oberst Manfred Menge, erstmals mit einer MIG-29 Fulcrum, aus Preschen kommend, in Hopsten landete. Er hatte zu diesem Zeitpunkt „zwei Hüte“ auf (Kommodore in Hopsten und in Preschen) und war als einer der ersten Luftwaffen-Piloten auf die MIG-29 umgeschult worden.
Am 24. Mai 1991 wurde für die Angehörigen des JG 72 „W“ das Gerücht über eine Verlegung dann zur Gewissheit. In Laage sollte das JG 72 „W“ mit den eigenen F-4F und den zwischenzeitlich in die Luftwaffe übernommenen MIG-29 zu einem neuen Verband verschmelzen.
Obwohl den Geschwader-Angehörigen (und ihren Familien) nicht zum Jubeln zu Mute war, feierte der Verband 1991 sein 30-jähriges Bestehen mit einem großen „Tag der Offenen Tür“, wobei sich bei vielen Besuchern das Gefühl eines „Abschiedsbesuchs“ bei ihrem Westfalengeschwader einschlich.
Doch eine erneute Umplanung in der Luftwaffe im April 1993 änderte wiederum alles: Politische / militärische Veränderungen sprachen für einen Verbleib des JG 72 „W“ auf dem Fliegerhorst Hopsten! Der langfristige Verbleib in der Region schien damit – scheinbar – gesichert. Allerdings wurde im Februar 1995 die „ZAE F-4F“ aufgelöst und deren Aufgaben von der 2. Staffel übernommen.
Das nächste herausragende Ereignis war die Teilnahme als erster Verband der Luftwaffe an der zu diesem Zeitpunkt größten multinationalen Luftverteidigungsübung der Welt „Roving Sands“. An dieser Hochwertübung über der Wüste „White Sands“ im Westen der USA nahmen insgesamt 15 000 Soldaten mehrerer Nationen teil. Mit sechs F-4F und mehr als 100 Mann Personal verlegte hierzu das JG 72 „W“ im Mai 1996 auf den USAF Stützpunkt Cannon AFB, New Mexico.
Drei Monate nach Rückkehr von dieser Übung, am 8. September 1996, feierte der Verband sein 35-jähriges Jubiläum mit einer besonders schön bemalten Jubiläumsmaschine: Über den gesamten Rumpf der 38+60 war ein überdimensionales Westfalenross aufgebracht. Nur Wochen später nahm das Geschwader als bislang zweiter Luftwaffenverband an einer weiteren Großübung in den USA teil: An der Übung „Red Flag“ auf der Nellis AFB, Nevada.
Das Jahr 1997 brachte eine erneute Herausforderung mit sich: Die Außerdienststellung der deutschen F-4E, die zur Schulung in Holloman AFB, NM eingesetzt waren, machte die Gestellung von 24 F-4F dorthin erforderlich.
Diese wurden zunächst in Hopsten zusammengeführt und dann zwischen Januar und November 1997 in mehreren Wellen zur Holloman AFB überführt.
Die folgenden Jahre waren mit der Teilnahme an weiteren Übungen „Red Flag“ und „Maple Flag“ und den zur Routine gewordenen Kommandos in Decimomannu und Goose Bay ausgefüllt. Die erforderliche Instandsetzung der Start- und Landebahn im Sommer 2000 machte die komplette Verlegung des Verbandes ins benachbarte Twenthe, NL erforderlich. Dazu kamen weitere größere Baumaßnahmen: die Errichtung eines neuen Kontrollturms, der Austausch der Hallentore, der Bau einer neuen Truppenküche und einer neuen Tankstelle! Man beachte die weitsichtige Planung!
Der neunte „Tag der Offenen Tür“ anlässlich des 40-jährigen Bestehens konnte jedoch schon nicht mehr mit Freude begangen werden: Mit der Bekanntgabe der Luftwaffenstruktur 5 wurde die Auflösung des Jagdgeschwaders 72 „Westfalen“ zur Gewissheit. Am 7. Januar 2002 fand der allerletzt QRA – Einsatz des (noch) JG 72 „W“ statt. Wenige Tage später, am 18. Januar 2002, wurde die 1. Staffel außer Dienst gestellt: Der Einsatzauftrag des Geschwaders, die Luftverteidigung, war Geschichte!
Das Schicksal der Außerdienststellung ereilte zeitgleich auch die 2. Staffel, allerdings nur administrativ: In letzter Minute hatte man der Staffel den neuen (alten) Auftrag übertragen: Die 1995 übernommene Aufgabe der „Europäisierung“ der in den USA ausgebildeten F-4F – Besatzungen und die Fluglehrerausbildung blieb bis Mitte 2006 bestehen.
Am 31. Januar 2002 wurde die Außerdienststellung des Jagdgeschwaders 72 „Westfalen“ und die gleichzeitige Entlassung aus der NATO-Unterstellung vollzogen. Gleichzeitig erfolgte die Indienststellung des „Fluglehrzentrums F-4F (FlLehrZ F-4F)“. Der Personalumfang sank auf unter 1 000 Soldaten und Zivilbeschäftigte ab, der Flugzeugbestand auf 22 Maschinen.
Trotz der geplanten Schließung Mitte 2006 nahmen im Laufe der folgenden Jahre einzelne Besatzungen mit ihren F-4F weiterhin an verschiedenen Übungen, Flying Displays und ähnlichem teil.
Das endgültige Aus für den Flugbetrieb mit F-4F kam am 15. Dezember 2005: Nach einem feierlichen Apell hoben die letzten vier F-4F von der Startbahn des Fliegerhorstest Hopsten ab.In der Ära der F-4F Phantom wurden 230 000 Flugstunden erreicht; 5 Maschinen wurden durch Abstürze verloren, wobei 6 Besatzungsmitglieder den Fliegertod starben.
Das traurige Ende
Nach den erforderlichen Abschlussarbeiten auf dem Fliegerhorst Hopsten sowie im Unterkunftsbereich Rheine fand dort am 22. Dezember 2006 die letzte Flaggenparade statt: Das Tor wurde abgesperrt und der Schlüssel an den Vertreter des Bundeswehrdienstleistungszentrums übergeben!
Soziale Aspekte
Die Masse der Geschwader-Angehörigen hatte sich im Laufe der Jahre in das Leben der Garnisonsstadt Rheine (einst einer der personell stärksten Standorte der Bundeswehr) und der umgebenden Ortschaften integriert, sei es in Vereinen oder in der lokalen Politik. Die Meisten blieben der Region auch nach ihrer Entlassung bzw. Pensionierung treu.
Umso mehr traf die Außerdienststellung des Geschwaders und die Schließung sämtlicher Liegenschaften nach mehr als 45 Jahren diese Kommunen hart, waren doch zuvor bereits andere Bundeswehreinrichtungen aufgelöst und geschlossen worden. Und das, obwohl sich gerade an diesem Standort, trotz erhöhtem Flugaufkommens durch die ZAE F-4F, keinerlei Protestbewegungen gebildet hatten wie an anderen, kleineren Standorten!
Und einige Jahre später wurde trotz angeblich gegebener Zusagen aus dem BMVg und gegen heftige Proteste aus dem gesamten Münsterland, mit dem Heeresfliegerregiment in Rheine-Bentlage auch die letzte große Bundeswehreinrichtung aufgelöst.
Von einem der größten Bundeswehrstandorte auf „Null“! Und das, obwohl die Bevölkerung und die Kommunen des nördlichen Münsterlandes die Soldaten der Bundeswehr jahrzehntelang ohne Murren und Widerstand aufgenommen hatten und sich als hervorragende Gastgeber der hier stationierten Bundeswehreinheiten bewiesen hatten! Das Urteil über diese Vorgehensweise der politischen und militärischen Führung jener Zeit überlässt der Verfasser gerne dem Leser!
Epilog
Der verkürzten Darstellung der Geschichte des „Westfalengeschwader“ fielen so manche Randerscheinungen zum Opfer: Eine Vielzahl von kleineren Verlegungen, Staffelaustausche, Preisverleihungen, Ereignisse gesellschaftlicher Art, Personalien usw. hätten den Rahmen dieses Beitrages gesprengt.
Stand Dezember 2018:
-- Fliegerhorst Hopsten: der Nord-Teil des Geländes einschließlich der Bahn wurde renaturiert, der mittlere Teil wird teilweise in kleinerem Umfang industriell genutzt (zeitweise waren Behelfshäuser für Migranten gebaut- und kaum genutzt!), im südlichen Teil wird durch das Land NRW eine Forensische Unterbringung gebaut.
-- Unterkunftsbereich Rheine: dieser lag bis 2017 im Dornröschenschlaf, die Gebäude fielen, wie anderswo auch, trotz Umzäunung dem Vandalismus zum Opfer! Unter einem neu gewählten Bürgermeister, einem gebürtigen Rheinenser, kam 2017 endlich Bewegung in die unschöne Szene. Das gesamte Gelände wurde von der Stadt Rheine gekauft und in ein Neubaugebiet mit Namen „Gellendorfer Aue“ umgewandelt.
Das Westfalengeschwader und der Fliegerhorst Hopsten sind damit endgültig Geschichte!
Heinz Roschmann
Ehemaliges Führungspersonal der Phantom Ära
(erscheint nur für eingeloggte Mitglieder)
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