AG 52
Das Aufklärungsgeschwader 52
Geschichte
Das Aufklärungsgeschwader 52 (AG 52) wurde am 12. Dezember 1959 mit dem Muster RF-84 F „Thunderflash“ auf dem Flugplatz Erding in Dienst gestellt. Schon ein Jahr später verlegte das Geschwader nach Eggebek, von wo es dann 1964 weiter nach Leck ging. Für die nächsten fast 30 Jahre blieb Leck der Standort des AG 52. Gleichzeitig mit der Verlegung erhielt das Geschwader die ersten beiden RF-104 G „Starfighter“; die RF-84 F war aber noch bis 1966 weiter im Einsatz. Mit dem Muster RF-84 F wurden insgesamt 29 000 Flugstunden geflogen; 10 Maschinen gingen durch Abstürze verloren und 3 Piloten verloren dabei ihr Leben.
Nachdem das AG 52 in 1965 zum ersten Mal an einem Tiger Meet – in Bitburg – teilgenommen hatte, war der Verband schon 1967 Gastgeber des Tiger Meets in Leck. Eintrittskarte für den Club der „NATO Tigers“ war das Geschwaderwappen mit dem schwarzen Pantherkopf, welcher durch den symbolisierten Lamellenverschluss einer Kamera blickt. Das Wappentier selbst ist ein 6 Zentner schwerer Bronzepanther aus der Zeit des „Dritten Reichs“, welcher von Piloten des Verbands bei einer amerikanischen Einheit in Erding entdeckt und bei den Verlegungen zunächst nach Eggebek und dann Leck „mitgenommen“ wurde.
Das Geschwader flog die RF-104 G lediglich bis 1972, aber es wurde auf diesem Muster mit 56 000 Flugstunden fast die doppelte Anzahl an Stunden wie mit der RF-84 F erflogen. Obwohl der „Starfighter“ allgemein als unfallträchtig gilt, wurden während dieser Zeit nur 3 RF-104 G verloren, wobei ein Pilot sein Leben ließ – die Unfallrate betrug also noch nicht einmal ein Sechstel im Vergleich zur RF-84 F.
1971 landete die erste RF-4 E “Phantom” in Leck; das Geschwader flog dieses Muster bis zu seiner Auflösung 1993. Die „Phantom“ brachte eine signifikante Verbesserung der Aufklärungsfähigkeit im Vergleich zur RF-104 G mit sich; aber als erstes zweisitziges Kampfflugzeug der Nachkriegsluftwaffe bedeutete sie auch eine Art Kulturschock für die bisherigen „Single Seater“. Doch aufgrund ihrer Flugleistungen und der weitaus besseren Aufklärungssensoren im Vergleich zum Vorgängermuster – einschließlich des Allwettersensors SLAR (Side Looking Airborne Radar) mit einer Reichweite von ca. 120 km – war sie bald extrem beliebt bei ihren Besatzungen.
Ab 1980 wurden alle RF-4 E kampfwertgesteigert, so dass sie auch als Jagdbomber eingesetzt werden konnten. Das Flugzeug war dafür aufgrund seiner Zuladekapazität auch gut geeignet, war aber nur mit einem einfachen optischen Visier ausgestattet, so dass mangels Präzision BL-755 Streubomben die Waffen der Wahl waren.
Während der 22 Jahre dauernden Phantom Ära wurden 185 000 Stunden geflogen und das AG 52 war1975 und 1984 Gastgeber für NATO Tiger Meets. Während dieser Zeit waren leider auch 9 Abstürze zu vermelden, wobei 10 Besatzungsmitglieder ums Leben kamen.
„Phantom“ Flugbetrieb
Der Flugbetrieb des AG 52 fand weitestgehend unter den Rahmenbedingungen des Kalten Kriegs statt. Dies bedeutete, dass die überwiegende Zahl an Einsätzen vom Heimatplatz aus, in dem durch ADIZ und Buffer Zone zusätzlich noch verengten, westdeutschen Luftraum geflogen wurde. Im Gegensatz zu vielen anderen Geschwadern gab es beim AG 52 keinen Schichtbetrieb, so dass es bei Nachtflug nicht ungewöhnlich war, drei Mal am Tag zu fliegen. Natürlich gab es Staffelaustausche, Tiger Meets und andere NATO Übungen – das Geschwader nahm erfolgreich u. a. an “Royal Flush”, “Big Click”, “Recce Air Meet” und “Tactical Fighter Meet” teil – aber diese Events waren eher die Ausnahme von der Regel. Die jährlichen Verlegungen nach Goose Bay und Decimomannu begannen erst Anfang der 80er Jahre. Sie wurden von Besatzungen und technischem Personal überwiegend positiv gesehen, weil sie nicht nur Abwechslung und neue fliegerische Herausforderungen mit sich brachten, sondern auch die Kameradschaft innerhalb des Geschwaders förderten.
Was nicht heißen soll, dass der Flugbetrieb zu Hause langweilig gewesen wäre. Das schmale Handtuch der Bundesrepublik Deutschland war Heimat für 15 Kampfgeschwader von Luftwaffe und Marine, dazu kamen noch insgesamt 11 (US, UK, CAN) alliierte Fighter Wings. Wenn die Wetterbedingungen es erlaubten – die Mindestsichtweite war 5 km – dann wurde der Großteil der Einsätze nach Sichtflugregeln durchgeführt, was regelmäßig in ad-hoc Luftschlachten mit einem Mix verschiedener Flugzeugtypen resultierte.
Auch die meist in einer Höhe von 39.000 Fuß geflogenen SLAR Einsätze in kurzer Entfernung zur innerdeutschen Grenze oder zur Ostseeküste hatten ihren ganz eigenen Reiz, manchmal mit einem “Schatten” auf der anderen Seite der Grenze oder mit Störung von für die Navigation wichtigen TACAN Stationen.
Zum Aufgabenpaket des AG 52 gehörte die Aufklärung über See, so dass der “Frankenstein” genannte Kälteschutzanzug öfter getragen wurde als den meisten lieb war. Erkennung der Differenzen zwischen Kresta 1 und 2 oder Mirka und Petya war eine wichtige, bei NATO Überprüfungen gerne abgefragte, Fähigkeit. Während Kriegsschiffe der Baltischen Flotte routinemäßig gesichtet wurden, waren Begegnungen mit den Fliegerkameraden von der anderen „Feldpostnummer“ eher selten. Aber wenn sich die Möglichkeit bot, wurde natürlich versucht mit Beweismaterial in Form von Fotos nach Hause zu kommen. Vorgesetzte und politische Leitung waren allerdings nicht amüsiert, als ein Staffelkapitän Bilder vom brandneuen russischen TU-22 Bomber mitbrachte, auf denen als Hintergrund kein Wasser, sondern die Landmasse von Mecklenburg-Vorpommern zu sehen war.
Gewiefte Experten im Geschwader hatten auch herausgefunden, wie man durch ein vertikales Flugmanöver aus mittlerer Höhe (Split-S) und Abflug in Gegenrichtung in sehr niedriger Höhe von den Radargeräten des Warschauer Pakts verschwinden konnte. Dies alarmierte das „Diensthabende System“ und man wartete dann in sicherer Entfernung von der Küste auf die gestarteten Abfangjäger. Das Manöver konnte allerdings nur bei guten Sichtbedingungen und hoher Wolkenuntergrenze durchgeführt werden und verlor ohnehin mit zunehmender Gewöhnung der anderen Seite seine Wirkung.
“Phantom” Staffelleben
Der Flugplatz Leck lag so nahe an der dänischen Grenze, dass die Anflugverfahren z. T. über dänisches Territorium führten. Es war auch nicht weit zur Nordsee, was häufigen Regen, starke Winde, niedrige Wolkenuntergrenzen oder auch See Nebel mit sich brachte. Von Leck aus war es bis zum fast 200 km entfernten Hamburg eine recht weite Reise nach Süden.
Aber die Lage hatte auch ihre Vorteile: Fast alle Geschwaderangehörigen mit ihren Familien wohnten in Leck mit seinen 6000 Einwohnern und in den umgebenden Dörfern. Im Sommer boten Nord- und Ostsee vielfältige Möglichkeiten zum Wassersport – so fand sich schon Mitte der 70er Jahre eine Gruppe von Windsurf-Enthusiasten zusammen – doch die Winter dauerten lange, und bis auf die staffelinternen und nicht immer unfallfreien Nacht-Schlittenfahren von der immerhin 47 m hohen Rantzau-Höhe im Langenberger Forst gab es wenige Unterhaltungsmöglichkeiten. Daher lud man sich an den Wochenenden gerne auf ein paar Flens und Köm gegenseitig ein, wobei Ende der 70er/Anfang 80er Jahre oftmals bei der vom dänischen Fernsehen im Originalton übertragenen englischen Comedy Serie “Allo, Allo” gemeinsam gelacht wurde.
Natürlich hatten beide fliegende Staffeln und das Geschwader ihre jeweils eigenen traditionellen Veranstaltungen, von denen das Schlachtfest das wohl bekannteste war. Das erstmals 1966 unter dem Motto „Überlebenstraining“ durchgeführte Schlachtfest war eine Tradition der 1. Staffel, bei der nicht nur die Sau geschlachtet, sondern zu Mettbrötchen auch großzügig Alkohol - meist mit im Schnapsglas schwimmendem Schweineauge - gereicht wurde. Es bleiben Erinnerungen an eine total überfüllte Staffel-Lounge, an Wettbewerbe, die irgendwie immer mit Alkohol zu tun hatten, an rotes Schweineblut im frischen Schnee und an Flugzeuge, welche in dem vergeblichen Versuch, trotz widrigster Wetterbedingen zu landen um dabei sein zu können, über das Staffelgebäude donnerten.
Jährlich wurde auch ein „Beercall des Nordens“ durchgeführt, ein für seine Zeit erstaunlich fortschrittliches streitkräftegemeinsames (joint) Event, an dem Luftwaffen-, Marine- und Heereseinheiten teilnahmen. Leider wurde diese wegweisende Veranstaltung für etliche Jahre eingestellt nachdem es 1980 in Leck zu erheblichem Kollateralschaden gekommen war.
Und dann gab es natürlich jedes Jahr ein „NATO Tiger Meet“ in dessen Rahmen vielfältige Beziehungen zwischen den teilnehmenden NATO-Tigern geknüpft wurden, welche bei diversen Mini-Tiger Meets verfestigt werden konnten. Der internationale (combined) Charakter dieses Events wird besonders deutlich anhand eines Zwischenfalls beim Tiger Meet 1975 in Leck, bei dem ein Gnat Trainer der RAF, geflogen von einem amerikanischen Austauschpiloten, mit dem Einsatzstabsoffizier der 1. Staffel (Major Mißfeldt) im Rücksitz, eine italienische F-104 von hinten (!) rammte und dabei nicht nur die Abgasdüse der F-104 beschädigte, sondern auch das eigene Bugteil verlor. Um es auf den Punkt zu bringen: Das Aufklärungsgeschwader 52 war schon immer „Joint“ und „Combined“ und damit seiner Zeit weit voraus!
Das Ende
Mit dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 und dem rapiden Niedergang der Sowjetunion wurde die Auflösung des Warschauer Pakts unvermeidlich. Im Rahmen der Verhandlungen über die Wiedervereinigung Deutschlands im Oktober 1990 und den Abzug der sowjetischen Truppen wurden Obergrenzen für militärisches Gerät in Europa festgelegt. Im Rahmen dieser Obergrenzen sahen die militärischen Planer der Bundeswehr - wie sich bald herausstellen sollte fälschlicherweise- keine weitere Notwendigkeit für taktische Luftaufklärung. Daher verkündete die Luftwaffe im April 1991, dass die beiden Aufklärungsgeschwader aufgelöst werden sollten; die Flugzeuge sollten zu gleichen Teilen an Griechenland und die Türkei gehen. Am 15. Dezember 1993 wurde das Aufklärungsgeschwader 52 offiziell außer Dienst gestellt. Die letzte RF-4 E mit der Kennung 35+25 verließ Leck am 12. Januar 1994.
Jürgen Erbeck
Ehemaliges Führungspersonal der Phantom Ära
(erscheint nur für eingeloggte Mitglieder)
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